Archiv | 5 août 2016
Harley Quinn: Vom Opfer zur starken Frau
Kaum eine Schurkin wirft so viele Fragen auf wie Harley Quinn. Wo wir gleich bei der ersten wären: Ist das blonde DC Comic-Mädchen im Harlekin-Kostüm wirklich eine Schurkin? Die Antwort lautet natürlich ja, schließlich ist ihr Repertoire an begangenen Verbrechen weit gefächert. Ob sie nun mit ihrer besten Freundin Poison Ivy beim Juwelier einbricht oder für ihre große Liebe Joker gar Morde begeht, im Grunde genommen ist alles dabei. Dennoch kann man zu recht einwerfen, dass sie sich mehr als einmal bemüht, ihre Verbrecherkarriere an den Nagel zu hängen. Davon abgesehen hat Harley Quinn bisweilen eine so herzliche, schrullige Art, dass man sie sofort ins Herz schließen möchte.
Inspiriert wurde die Supervillain übrigens durch die Schauspielerin Arleen Sorkin, die in einer Soap aus den 80er Jahren eine quirlige Figur in einem Hofnarrenkostüm spielte. Über diese Frau kam nicht nur Paul Dini zu einigen Ideen für Harleys Kostüm und Charakter, sondern unsere Schurkin selbst erhielt zusätzlich die Synchronstimme von Sorkin. Eine neue Ikone war geboren. Wirklich durchschaubar ist Harley Quinn jedoch nicht. Was vermutlich auch daran liegt, dass ihr komplettes Auftreten mit der Zeit einige Wandlungen durchlebte. Und damit meinen wir nicht, dass der Baseballschläger den großen Hammer als Harleys Lieblingswaffe abgelöst hat. Auch sprechen wir nicht davon, dass sich ihr Styling mehrmals veränderte. Die größte Entwicklung machte ihre Persönlichkeit durch – und um diese geht’s im Folgenden.
Anfangszeiten: Das rückfällige Opfer
Bereits ihr erster Auftritt macht Harley Quinn zu einer Ausnahme in der Welt von DC Comics. Denn im Gegensatz zu Joker und Co feierte sie ihr Debüt nicht in einem Comic, sondern in der Zeichentrickserie Batman: The Animated Series. Genauer gesagt am 11. September 1992 in der 22. Episode, namentlich Jokerʾs Favor. Hier bekommen wir sie als charmante Handlangerin des Clownprinzen zu sehen, von der noch nicht allzu viel bekannt ist. Wenn sie ihrem „Mr. J.“ nicht gerade die Haare macht, applaudiert sie ihm praktisch im wahrsten Sinne des Wortes in jeder einzelnen Szene zu. Passend zu ihrem Namen trägt sie ein rot-schwarzes Harlekin-Kostüm. Als Batman ihr am Ende die Handschellen anlegt, lässt sie den Kommentar fallen, dass sie vielleicht doch besser auf die Kosmetikschule hätte gehen sollen.
Zwei Jahre später erschien der Comic Mad Love, der erstmalig ihre Entstehungsgeschichte erzählt. Statt Kosmetikschule ist hier von einem Sportstipendium die Rede und von einem Abschluss an der psychologischen Fakultät. Die Bilder zeigen jedoch, dass Harleen Frances Quinzel nicht aufs Büffeln, sondern auf die Verführung diverser Dozenten setzte, um an ihre überragenden Noten zu kommen. Da Superschurken in ihren Augen etwas Faszinierendes haben, setzt sie ihre Karriere in der Irrenanstalt Arkham Asylum fort. Bei ihren Kollegen stellt sie sich zwar locker als Harley vor, missachtet aber sämtliche Warnungen und Regeln, wenn es um den Clownprinzen geht. Drei Monate kämpft sie für ihre erste Sitzung mit ihm und verliebt sich praktisch auf Anhieb. Der grinsende Psychopath lullt sie ein mit Geschichten über seinen Vater, der ihn verprügelte und niemals über seine Witze lachte. Als er eines Tages aus der Anstalt ausbricht und von Batman zusammengeschlagen zurück gebracht wird, bricht Harley vor Sorge zusammen. Sie betrachtet den Joker als ein missverstandenes Kind, das nur nach Liebe und Anerkennung schreit. Insgesamt liegt der Fokus darauf, dass Harley viel Mitleid für den Soziopathen empfindet. Um ihm bei einem weiteren Ausbruch und der Vernichtung von Batman behilflich zu sein, wird aus Dr. Harleen Quinzel unsere quirlige Superschurkin Harley Quinn.
Von da an sind die beiden als Pärchen in der Verbrecherszene unterwegs, wobei der Joker regelmäßig ausfallend gegenüber Harley wird und sie häufig nur für seine Zwecke missbraucht. Nachdem er gar versucht, sie zu töten, um sich emotional nicht abhängig von ihr zu machen, landet das blonde Mädchen im Harlekin-Kostüm vorerst bei Pflanzendame Poison Ivy. Diese päppelt sie nicht nur auf, sondern verabreicht ihr sogar ein Serum, das überragende Stärke und Immunität gegenüber sämtlichen Giften zur Folge hat. Als Queens of Crime begehen Ivy und Harley eine Zeit lang gemeinsam Verbrechen und planen sogar den Tod vom Joker. Doch sobald Harley Quinn ihrem „Puddin“ gegenüber steht und er sich bei ihr entschuldigt, kehrt sie wieder zu ihm zurück, das Spiel der On-Off-Beziehung nimmt seinen Lauf. Der Joker wirft Harley aus dem Fenster, doch eine Blume an ihrem Krankenbett macht alles wieder gut. Der Joker versucht Harley die Kehle aufzuschlitzen, doch als sie sich dafür an ihm rächen will, befreit sie ihn stattdessen aus Arkham. Vorübergehend bildet sie auch mit Poison Ivy und Catwoman das erfolgreiche Verbrecherteam Gotham Girls, wovon viele Comics und eine Zeichentrickserie berichten. Auch als Gotham City Sirens sind die drei Damen unschlagbar und passen gegenseitig auf sich auf. Wenn Harley jedoch die Wahl hat, entscheidet sie sich immer für den Joker.
Emanzipation: Die gleichwertige Anführerin
Während Harley Quinn in den ersten Jahren ihrer Entstehungszeit hauptsächlich als liebeskrankes Groopie vom Joker fungierte, änderte sich ihre Stellung allmählich im 21. Jahrhundert. Im Jahr 2000 erschien der animierte Film Batman Beyond: Return of the Joker, der gewissermaßen die beiden Zeichentrickserien Batman: The Animated Series und Batman Beyond miteinander verknüpft. Diese Story ließ einen heimlichen Traum von Harley Wirklichkeit werden: Eine Familie mit „Mr. J.“. Denn mit Hilfe von Chemikalien und Gehirnwäsche machten die beiden Superschurken aus Tim Drake alias Robin ihren „Sohn“. Natürlich hält sich diese Pseudo-Familie nicht lange, doch auch am Ende des Films wird uns eine resolute Harley im Greisenalter präsentiert, die ganz selbstbewusst ihre Enkelinnen herumkommandiert. Auch in der Realserie Birds of Prey verlässt Dr. Harleen Quinzel den Posten des Sidekicks und wird zur Hauptschurkin, indem sie an der ganzen Stadt den Tod vom Joker rächen will.
Noch deutlicher kristallisiert sich ihre neue Stellung jedoch in den Spielen der Arkham-Reihe heraus. Im klassischen Sinne lernt sie den Joker als seine Psychiaterin kennen, wird jedoch im Vergleich zur Comic-Version wesentlich schüchterner und naiver in Szene gesetzt. Als der Joker seine Gefühle für Batman beschreibt, scheint sie zu glauben, er spreche von ihr. Nachdem im Anschluss betont wird, dass sie überhaupt keine Freunde hat, bietet der Joker ihr seine Freundschaft an. Und von einem gewissen Standpunkt aus ist diese gar nicht so übel! Denn sobald die unscheinbare Psychiaterin sich als Harley Quinn wiederfindet – dieses Mal in einem sexy Krankenschwester-Outfit beziehungsweise in einer Lederhose mit roter Korsage statt des Harlekin-Kostüms –, strotzt sie nur so vor Selbstbewusstsein. Batman gegenüber verhält sie sich frech und schlagfertig. Doch auch wenn etwas nicht ganz so läuft, wie ihr „Puddin“ es wollte, gelingt es Harley ihn mit einem Küsschen zu beruhigen und ihm Sätze á la „Ich könnte niemals böse auf dich sein“ zu entlocken. Diese Harley Quinn wird nicht einfach so aus dem Fenster geworfen. Sie ist vielmehr eine gleichwertige Partnerin, bei der sich der Joker auch mal entschuldigt. Auch dass im Laufe der Spielhandlung Poison Ivy zweimal von Harley Quinn gerettet wird, ist ein weiteres Zeichen ihrer Stärke. Inzwischen haben wir es mit einer Frau zu tun, die sich nicht bei den hunderten namenlosen Handlangern einreiht, sondern diese im Gegenteil befehligt. In der Spielerweiterung Harley Quinnʾs Revenge besiegt sie allein eine ganze Truppe Polizisten im Kampf. Die intensive Trauer um den Tod vom Joker ist am Ende absolut nachzuvollziehen. Wer würde nicht denjenigen vermissen, der einem ein solches Selbstvertrauen geschenkt hat.
Eigene Wege: die kontroverse Anti-Heldin
Während diverse Animationsfilme, Realserien und Videogames Harley Quinn mehr Stärke verliehen, blieb natürlich auch die Entwicklung der Comics nicht auf der Strecke. Gerade mit dem Beginn der New 52-Reihe änderte sich vieles für unsere Superschurkin. Ihre Origin-Story wurde beispielsweise ziemlich ausgebaut. Man bekommt zu sehen, wie sie als Teenager in einer Familie mit Brüdern aufwächst. Von der Mutter wird sie bisweilen als „böse“ beschimpft, einer der Brüder ist ein übler Schnorrer, während der Vater als Betrüger Frauen um ihr Geld bringt. Um vor allem ihren Vater besser verstehen zu können, wächst Harleens Interesse an Kriminalpsychologie. Dieses Interesse findet seinen Höhepunkt in der Begegnung mit dem Jungen Bernie Bash, der einen Mord beging, um ihr seine Liebe zu beweisen. Als Andenken an diese erste große Liebe stahl Harleen einen ausgestopften Biber aus dem Laden von Bernies Vater. Mit diesem Biber führt sie noch als Erwachsene bizarre Gespräche.
Auch die Geschichte, wie sie vom Joker in Harley Quinn verwandelt wird, erhielt neue Elemente. Zwar lernt sie ihn wie gewohnt als seine Psychiaterin in der Anstalt Arkham Asylum kennen, doch die Faszination scheint von Beginn an nicht einseitig zu sein. Nachdem Harleen sich ihre Liebe zu dem Patienten eingesteht, verhilft sie ihm zum Ausbruch. Im Gegenzug bringt der Joker sie zur chemikalischen Aufbereitungsanlage, in der er einst in einen Behälter stürzte und durch die toxischen Stoffe zu dem Supervillain wurde, der uns so vertraut ist. Gegen ihren Willen wirft der Joker auch seine Befreierin in das Becken. Und aus der blonden Therapeutin wird ein wild grinsendes Mädchen, deren Haare sich zur einen Hälfte rot, zur anderen blau-schwarz gefärbt haben.
Als größten Entwicklungsschritt muss man jedoch die Trennung vom Joker nennen. Zwar gab es eine solche schon öfters, doch es dauerte nie allzu lange, bis Harley zu ihm zurückkehrte. Als Black Canary unsere Harley ins Belle Reve Gefängnis steckt, wird sie von dort über die Regierungsbeamtin Amanda Waller ein Mitglied des Geheimprojekts Task Force X, besser bekannt als Suicide Squad. Dessen Teilnehmer bestehen aus Schwerverbrechern, die im Auftrag der Regierung andere Verbrecher bekämpfen. Die inzwischen erwachsenere und gefährlichere Harley Quinn, die ständig zwischen guten und bösen Entscheidungen schwankt, passt in dieses schräge Team wie der Baseballschläger aufs Auge! Sie ist inzwischen also eine Frau, die was ganz Eigenes hat, auch ohne den Joker. Hinzu kommt ein neuer Lover. Nicht nur im Zeichentrickfilm Assault on Arkham, sondern auch in den Comics lässt sich Harley auf den Söldner Deadshot ein. Sicherlich gibt es immer wieder Momente, in denen sie ihren Clownprinzen vermisst. Statt jedoch zaghaft an seine Tür zu klopfen, stiftet sie eine ganze Gefängnisrevolte an oder zwingt Deadshot, sich das abgeschnittene Gesicht ihres Ex-Lovers aufzusetzen, um es dann zu küssen. Krankhaft besessen? Etwas, ja. Doch wenn der Joker in der Comic-Reihe Death of the Family nach langer Zeit wieder aus der Versenkung auftaucht, steuert die Beziehung der beiden endgültig ins Aus. Nach einem harten Gerangel, in dem der Joker Harley ein Ohr abbeißt und sie ihm dafür über einen Kuss einen Zahn entfernt, verkündet sie, nicht sein Eigentum zu sein und macht ganz offiziell Schluss mit ihm. Natürlich wirft er sie dafür in eine Art Kerker. Doch Harley befreit sich und beweist damit, keins seiner Spielzeuge zu sein, die er einfach wegwerfen kann. In einer neueren Storyline zieht Harley Quinn mit Power Girl um die Häuser, die ihr Gedächtnis verloren hat und sich von der Superschurkin überzeugen ließ, dass die beiden als Duo das Verbrechen bekämpfen.
Wie man sieht, ist es nicht leicht, aus Harley Quinn schlau zu werden. Zum einen beschließt sie immer wieder, ihre Verbrecherkarriere an den Nagel zu hängen, zum anderen begeht sie manchmal Morde, um an ihr Ziel zu kommen. In ihr steckt ebenso sehr ein charmantes, heiteres Mädchen wie eine unberechenbare Psychopathin. Verstärkt wird ihre Komplexität noch dadurch, dass sie ähnlich wie Marvels Söldner Deadpool ab und zu die vierte Wand durchbricht und sich direkt an die Leser wendet. Nur eins können wir mit Sicherheit festhalten: Aus dem einst liebeskranken Opfer entpuppte sich eine unabhängige Frau, die sich viele weibliche Fans inzwischen sogar als Vorbild nehmen. Selbst Poison Ivy muss ihr nicht mehr klar machen, was das Richtige für sie ist.
Ausblick über die Persönlichkeit im Film Suicide Squad
Wie könnte bei so einer langen Entwicklungsgeschichte Harley Quinn auf der großen Leinwand inszeniert werden? Orientiert man sich an der Marketingkampagne zu Suicide Squad, fallen ein paar Merkmale besonders auf. Zum einen wäre das der Sexappeal von Ms Quinn. Zwar meint Designerin Kate Hawley, dass der Fokus auf einer selbstbewussten Frau liegen soll, die sich sexy fühlt, dem entgegenwirkend, was Männer denken, was sexy ist. Irgendwie scheint das allerdings nur halb funktioniert zu haben. Denn eine junge, hübsche Blondine, die sich in der Öffentlichkeit umzieht oder sich so bewegt, dass ihr Hintern oder andere Geschlechtsmerkmale in den Vordergrund rücken, ist nicht gerade das, was Männer als Gegenteil von sexy bezeichnen. Hinzu kommt, dass es nicht wirklich den Anschein hat, Harley würde derartige Aktionen bewusst einsetzen, um den Männern den Kopf zu verdrehen. Dass sie beispielsweise ihren Hintern in die Luft streckt, geschieht lediglich deshalb, weil sie sich nach einer Kette bückt.
Was dem Filmteam jedoch gelungen ist, ist das auffällige Merkmal Nummer zwei, nämlich das Selbstbewusstsein. Auch Darstellerin Margot Robbie betont immer wieder die starke Frauenrolle ihrer Harley Quinn. Mit frechen Antworten der Marke „Wir sind die Bösen! Wir tun so etwas!“ läuft dieses Harlekin-Mädchen scheinbar unbekümmert durch die Story. Neben dem heiteren Gemüt wurde jedoch auch ihr ganz eigener Wahnsinn thematisiert. Das äußert sich unter anderem an der Eigenheit, fremde Stimmen im Kopf zu hören oder fauchend gegen die Käfigwand zu rennen. Wir bekommen es im Film Suicide Squad wohl mit einer gelungenen Kombination aus klassischer und moderner Harley Quinn zu tun: Unbeschwert, durchgeknallt und ziemlich eigensinnig.
Eine Frage drängt sich jedoch am stärksten auf: Wird sie wieder auf den Joker hereinfallen? Die Trailer zeigen, dass auch ihre Entstehungsgeschichte Bestandteil der Story ist. Es wurde sogar das New 52-Element mit aufgenommen, in dem der Supervillain seine Psychiaterin in ein Becken voller grüner Chemikalien taucht. Gegenwärtig ist Harley jedoch ein Mitglied des Suicide Squad und damit laut Comicvorlage vom Joker bereits getrennt. Während sie die Beziehung in der letzten Comic-Begegnung eindeutig beendet hat, ist sie ihrem Ex im animierten Film Assault on Arkham mal wieder beim Ausbruch behilflich. Was wir jedoch bisher von ihrem Charakter im Realfilm zu sehen bekommen haben, lässt nicht gerade das Bild einer Frau entstehen, die auf sich herumtrampeln lässt. So oder so, es war längst an der Zeit, dass diese beiden Comic-Ikonen gemeinsam auf der Leinwand zu sehen sind!